Villa Balani

The mail I got in 1995

From … Mon Jul 24 13:37 MET 1995
Date: Mon, 24 Jul 1995 13:36:55 +0200
From: … (Karsten S.)
To: …
Subject: Die Balanstraße, 2. Folge


Zweiter Teil der Serie „Die Balanstrasse“ :

Villa Balani

Ort: Sizilianisches Hinterland
Zeit: Sommer 1922
FSK: ab 10 Siemens Dienstjahren

Auf die Darstellung grausamer Szenen konnte der Authentizität wegen leider nicht ganz verzichtet werden. Um dem ernsthaften Grundcharakter der Folge gerecht zu werden, wurde nur verhaltener Humor in die Handlungsstränge geflochten.

 

Staub wirbelte hinter der schwarzen Limousine auf, die sich langsam die Serpentinen der Via Balani hinaufschob. Der Wagen folgte der schmalen Piste bis in den Innenhof des großen Anwesens auf dem Hügel, dessen strahlend weiße Fassade im Kontrast mit den dunklen Zypressen das Landschaftsbild prägte. Siebzig Jahre später hätten Touristen den Anblick als malerisch empfunden.

Der Wagen rollte auf dem Kies aus, der Fahrer stellte den Motor ab und zog die Handbremse an. Aus dem Schatten des großen Portals löste sich ein Mann, der auf seine besten Jahre schon zurück licken konnte, und trat den Aussteigenden entgegen.

„Wolf Cutter, lange nicht gesehen.“, begrüßte er den großen Mann im schwarzen Anzug, hinter dem ein anderer etwas unsanft aus der Limousine gestoßen wurde.

„Hallo Sandrocelli,“ Cutter trat auf ihn zu und umarmte ihn förmlich.

Der Dritte wartete die Begrüßung der beiden ab und behielt den Mittleren im Auge, dem die Nervosität deutlich ins Gesicht geschrieben stand.

„Pepe, komm' her, las dich anschauen, gut siehst du aus.“

Sandrocelli trat auf den Dritten zu und ließ auch ihm seine südländische Herzlichkeit zuteil werden.

„He, nicht so stürmisch Botticelli,“ Pepe nannte ihn bei dem Spitznamen, den seine Freunde benutzten, seine Feinde, und solche hatte er viele, was aber in dieser Branche nicht ungewöhnlich war, kannten ihn eher unter dem Namen 'Sandro in meccanismo', „Du brichst mir ja alle Knochen im Leib.“

„Seit wann ist denn ein Campacasa so empfindlich, eh, wie geht's denn so im EZM Manhattan?“

„Nachdem wir die anfänglichen Schwierigkeiten aus der Welt geschafft haben,“ Campacasa lächelte Sandrocelli verschmitzt an, „läuft der Laden recht gut. Vom Umsatz her liegen wir mit Chicago etwa gleich auf.“

„Und das nach der kurzen Zeit? Nicht schlecht. Aber laß uns jetzt reingehen, der Alte wartet schon auf euch.“

Sandrocelli führte die kleine Gruppe durch die große Eingangshalle den Treppenaufgang mit seinen barocken Stuckaturen hinauf. Cutter und Campacasa bedeuteten dem nervösen Mann, Sandrocelli zu folgen. Sie selbst bildeten die Nachhut des Zuges. Im zweiten Stock trat Sandrocelli an eine Eichentür und klopfte.

„Wartet hier.“, sagte er zu den anderen gewandt.

„Komm rein.“ Die herrische Stimme von Maggi Maggiore dröhnte durch das Gebäude.

Sandrocelli öffnete die Tür, trat ein, schloß sie wieder und lehnte sich gegen die Wand daneben.

„Risotto ist draußen.“

Maggiore saß in seinem Sessel hinter dem Schreibtisch und schaute in die Ferne der kargen sizilianischen Landschaft. Die spröde Schönheit des Landstriches war in das goldene Licht der späten Nachmittagssonne getaucht. Plötzlich drehte er sich um, fixierte Sandrocelli nur kurz, griff in eine Schreibtischschublade und zog einige Geldscheine heraus.

„Hier“, sein Blick wechselte zu der eher üppigen Schönheit hinüber, die wie beiläufig auf dem Sofa der Sitzgruppe lag und gerade ihre Fingernägel einer ausgiebigen Inspektion unterzog.

„Nimm das und kauf dir in der Stadt was schönes.“ Er ließ die Banknoten auf die Schreibtischecke fallen.

Mit einem leichten Seufzer sortierte die Blonde ihre langen Beine, wobei sie geschickt den tätowierten Paradiesvogel auf ihrem Oberschenkel in Szene setzte. Mit einer Bewegung, die wohl graziös sein sollte, schob sie sich am Schreibtisch vorbei, ergriff das Geld und verschwand durch eine Seitentür.

„OK“, Maggiore blickte Sandrocelli an, „Laß ihn reinbringen.“

Sandrocelli öffnete die Tür zum Gang und forderte die Wartenden mit einem Kopfnicken auf, einzutreten.

Cutter und Campacasa führten Risotto vor den Schreibtisch und postierten sich an den Seitenwänden.

„Ah, Söhnchen,“ Maggiores Gesicht strahlte eine aufgesetzte Freundlichkeit aus. „schön dich zu sehen. Aber, was stehst du da rum? Komm', setz' dich zu mir.“

Er wies mit der Rechten auf den Ledersessel vor dem Schreibtisch. Risotto nahm mit sichtlichem Unbehagen Platz.

 

„Risotino“, Maggiore begann das eigentliche Thema weitläufig einzukreisen, „du weißt, wie sehr ich deinen Werdegang in unserem, ehm, Unternehmen gefördert habe, wie ich dich in alle Geschäftsbereiche eingeführt habe…“

„Das war mir auch immer eine große Verpfichtung.“ Risotto bemühte sich, überhaupt einmal in das Gespräch hineinzukommen.

„Ja, ja“, mürrisch wischte Maggiore diesen Einwand beiseite, „wir haben dir eines unserer größten und florierendsten Standorte anvertraut. Wir haben dir jede Unterstützung angeboten. Aber du wolltest ja alleine klar kommen. Was mußte ich jetzt von anderen hören? Probleme gibt es bei euch? Der Umsatz ist rückläufig?“

„Wir haben in dieser Restrukturierungsphase einige Reibungsverluste zu verkraften…“

„Ach was,“ Maggiore geriet langsam in Fahrt, „einen Hühnerhaufen hast du aus der Manschaft gemacht…“

„Ich habe neue hervorragende Leute eingesetzt, die müssen sich erst mal zurechtfinden…“

„Ha“, lachte Maggiore böse auf, „du meinst doch nicht solche Typen wie diesen Dottore Harakiri?“

„Haracasa heißt er.“ korrigierte Risotto.

„Harakiri - Haracasa“, wingte Maggiore erregt ab, „das Ergebnis allein zählt.“

„Ich habe das doch alles mit Sandrocelli durchgesprochen…“

„So so, Sandrocelli.“ der Alte lächelte süffisant. Er war mit dem Fortgang des Verhörs, denn ein solches war es, ganz zufrieden. Sein Blick glitt zu Sandrocelli hinüber, der offensichtlich jetzt erst verstand, was gespielt wurde. Rote Flecken wanderten über sein Gesicht und seine Hände verkrampften sich unkontrolliert.

„Ich, ich …“ Kein formulierbarer Gedanke lies sich in seinem von Panik gelähmten Hirn finden.

„Wir beobachten euch schon längere Zeit.“ fuhr Maggiore fort. „Anfangs habe ich es für üble Nachrede von Neidern gehalten, denn die finden sich oft bei solchen steilen Karrieren, doch die Berichte wurden immer eindeutiger, so daß keine andere Schlußfolgerung mehr möglich war.“

Seine Stimme wurde väterlich: „Es bricht mir das Herz, meine treuesten Freunde, die ich mit so viel Liebe gefördert habe, am Ende gegen mich vereint zu sehen. Hab' ich dich nicht ein Jahr nach Frankreich geschickt, Risotto, damit du das Handwerk besser als alle anderen erlernen konntest? Und dir Sandrocelli, habe ich dir nicht die Koordination aller externen Standorte anvertraut?“ Mit den Händen hinter dem Rücken verschrenkt ging er sinnierend um seinen Schreibtisch. Keiner wagte sich zu rühren.

„Vielleicht sind sie der Meinung, habe ich mich gefragt, daß die Familie eine neue Führung braucht. Der Alte sei zu alt geworden und sein Blick hat sich getrübt. Nun, das wäre legitim, wenn sie zeigen würden, daß sie's besser können. Doch in ihren Verantwortungbereichen ist es schlechter geworden. Vieleicht haben sie zu viel Energie für diese 'Restrukturierungsphase'“, er lächelte Risotto giftig an, „aufbringen müssen, doch wieso hat diese nicht gegriffen?“

Er wußte, daß sie wußten, worauf es hinauslief. Er sah keinen Sinn mehr darin, sie weiter hinzuhalten, es bereitete ihm auch kein Vergnügen, seinen Triumpf wortreich auszuschmücken. Was war das auch für ein Triumpf! Er sah beide lange an. Ja, es schien wahre Trauer in seinem Blick zu liegen.

 

„Cutter!“ Maggiore war wieder sachlich und beherrscht. „Ich will saubere Arbeit sehen. Seid nett zu den Jungen, Sandrocelli soll ganz verschwinden.“

„OK, Chef.“ Cutter war Profi genug, um solche Jobs fachgerecht abzuwickeln.

„Du selbst verschwindest am besten nach Singapur. Du weißt, bei wem du dich melden kannst. Campacasa, hier sind ein paar Adressen für Amsterdam. Und ändert eure Namen.“

„Klar, Chef.“ Mit knappen Gesten bedeuteten Cutter und Campacasa, Risotto und Sandrocelli den Raum zu verlassen. Ihre Schritte auf der Treppe waren noch kurze Zeit zu vernehmen, danach das Starten eines Wagens, dessen Motorgeräusch sich in der Ferne verlor.

 

Zwei Tage später wurde Risotto auf den Stufen der Polizeiprefektur in Neapel gefunden. Er sah aus, als würde er schlafen.

 

Sandrocelli wurde nie gefunden. Zumindest sah niemand den Zusammenhang mit dem Unglück von 1997 in Rom, wo durch einen instabilen Betonpfeiler eine Tribüne des Kolosseums einstürzte und 12 Touristen unter sich begrub.

 

Maggiore sankt in seinen Schreibtischsessel zurück. Er wirkte müde und erschöpft.

„Sandro in calcestruzzo.“ Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Die Tür öffnete sich wieder und die Blonde rauschte herein.

„Ist es nicht himmlich!“ Mit einer Piruette führte sie ihr neues Kleid vor.

„Wunderschön, Engelchen.“ Manchmal bewunderte er ihre Fähigkeit, sich an kleinen Dingen zu erfreuen und die ohnehin unabwendbaren Schwierigkeiten des alltäglichen Lebens einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen.

„Gab's bei dir was besonderes?“ Die Frage stellte sie eigentlich nur, um ihm zu zeigen, daß sie grundsätzlich gewillt sei, ihm zuzuhören, wenn er etwas erzählen wollte. Für seine Geschäfte hatte sie sich noch nie interessiert.

„Nein, nein, nur das übliche.“

Mittlererweile war die Sonne hinter den sizilianischen Hügeln versunken, und der Mond breitete sein fahles Licht über die felsige Landschaft aus.

 

Da draußen irgendwo Schafe hüten, mit einem treuen Hund, wär's das nicht?

©1995, Karsten S.


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